Offener Brief an den Bremischen Senat: S-Bahn Haltepunkt an der Otto-Hahn Allee einrichten vom 12. März 2020

Sehr geehrter Herr Bürgermeister und Präsident des Bremer Senats, sehr geehrter Herr Dr. Boven-schulte,

Sehr geehrte Frau stellvertretende Bürgermeisterin und Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobili-tät, Stadtentwicklung und Wohnungsbau,

Sehr geehrte Frau Dr. Maike Schaefer,Sehr geehrte Frau Senatorin für Justiz und Verfassung sowie für Wissenschaft und Häfen, sehr ge-ehrte Frau Dr. Claudia Schilling,

wir wenden und in diesem offenen Brief an Sie, um Stellung zu nehmen bezüglich des geplanten Baus einer S-Bahn Haltestelle der Zugstrecke Bremen-Hamburg im Nahbereich der UniversitätBremen. Soweit wir wissen soll die S-Bahn Haltestelle entweder an die Otto-Hahn Allee (nahe derTram-Haltestelle Universität Süd) oder die Achterstraße (nahe der Tram Haltestelle Technologie-park) anschließen.

Auf der letzten Sitzung des Beirats Horn-Lehe vom 21. Februar 2020, wo über die Argumente fürund gegen die unterschiedlichen Haltepunkte öffentlich diskutiert wurde, hat Frau Dr. Maike Schae-fer sich nicht nur klar für die Haltestelle an der Achterstraße ausgesprochen, sondern erweckte auchden Eindruck, dass trotz handfester Argumente für die Otto-Hahn Allee, die Entscheidung für dieAchterstraße bereits beschlossene Sache ist – obwohl es nach unserem Kenntnisstand noch keinenoffiziellen und rechtsgültigen Beschluss des Senats gibt.

Wir kritisieren die Entscheidung gegen die Otto-Hahn Allee scharf. Wir halten es für eine öko-logisch und ökonomisch unvernünftige Lösung, die in unseren Augen vor allem dem politisch-stra-tegischen Kalkül folgt, die Kleingärtner*innen südlich der Otto-Hahn Allee nicht gegen sich aufzu-1bringen – damit aber dem Wissenschafts- und Studienstandort im Land Bremen insgesamt schadet.

Im Folgenden wollen wir unsere Kritik anhand einiger Argumente verdeutlichen und bereits im Dis-kurs angeführte Argumente entkräften.

1. Es ist richtig, dass Pendler*innen aus Hamburg und umliegenden Gebieten aus Niedersachsen di-rekt an der Haltestelle aussteigen können und damit den Verkehrsknotenpunkt am Hauptbahnhofentlasten. Dieses Argument gilt jedoch unabhängig von den Haltestellen Achterstraße oder Otto-Hahn Allee, in beiden Fällen wird der Hauptbahnhof entlastet. Im Falle der Achterstraße findet je-doch für die Student*innen, Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, Mitarbeiter*innen in Technik undVerwaltung und Professor*innen, die die Linie 6 nutzen, keine Entlastung statt, da die Universitätmit ihren ca 20.000 Studierenden und 3.500 Mitarbeiter*innen von der Achterstraße aus nicht fuß-läufig erreicht werden kann. Alle Pendler*innen sind also dazu gezwungen, an der Tram HaltestelleTechnologie-Park erneut in die Linie 6 einzusteigen. Die Buslinien 21 und 31, die ebenfalls an die-ser Haltestelle fahren, stellen aufgrund ihrer niedrigen Frequenz keine wesentliche Entlastung dar.

Nun ist die Linie 6 insbesondere zu den Stoßzeiten von Vorlesungen und Seminaren jedoch meis-tens bis zum Anschlag überfüllt. Ein Einsteigen nach 2/3 der Strecke ist also kaum realistisch undunzumutbar. Sollte es keine Alternative geben, um die Linie 6 tatsächlich zu entlasten, befürchtenwir, dass viele Pendler*innen die neue Haltestelle Achterstraße gar nicht nutzen werden. Statt-dessen werden diese weiterhin am Hauptbahnhof zusteigen, um überhaupt in die Tram zu kommen(und selbst zu diesem Zeitpunkt ist meist nicht mehr sicher, ob man noch in die Tram passt).

Der Vorteil liegt hier klar bei der Otto-Hahn Allee: von hier aus können alle Pendler*innen derUniversität den Zentralbereich fußläufig in unter 10 Minuten erreichen (bei der Achterstraße sind esetwa 15-20 Minuten bis zum Zentralbereich). Naheliegende Gebäude wie das NW1 sind sogar inunter 5 Minuten zu erreichen. Darüber hinaus bietet die Haltestelle Universität Zentralbereich dendeutlich besseren Umstiegspunkt, da von hier aus mehr Linien erreichbar sind und in verschiedeneBereiche des Campus-Geländes fahren. Schließlich wäre auch ein (Elektro-)Shuttle-Service von derOtto-Hahn Allee aus denkbar, der die verschiedenen Bereiche des Campus-Geländes direkt anfah-ren kann.

Das heißt, dass insgesamt die Linie 6 deutlich entlastet werden könnte. Aber darüber hinauswäre die Haltestelle aus Otto-Hahn Allee auch aus klimapolitischen Gesichtspunkten die bessere: zu2Fuß zu gehen ist immer noch die klimafreundlichste Form der Fortbewegung. Alternativ könnteman an der Otto-Hahn Alle aber auch E-Roller und Leihräder zur Verfügung stellen, damitPendler*innen schneller zu ihrem Zielort gelangen. Wir gehen nicht davon aus, dass der knappePlatz an der Achterstraße für eine entsprechende Leih-Station ausreichen würde (außerdem würdedas den kleinen Fahrradweg entlang der Haltestelle Technologie-Park, bzw. die Überquerung derStraßenbahnschienen hinter OHB sehr wahrscheinlich überlasten. Es kämen also auch hier mehrBaustellen auf die Stadt zu als es auf den ersten Blick scheint).

2. Weiterhin wird von Befürworter*innen der Achterstraße angeführt, dass die dortige S-Bahn Hal-testelle den Stadtteil Horn-Lehe stärker anbinden würde. Dies halten wir für nicht gegeben. Eineinfacher Blick auf eine Online-Karte genügt, um zu sehen, dass sich die Haltestellen in beiden Fäl-len am Rande des Stadtteil befinden würden. Die Anbindung der Anwohner*innen im unmittelbarenNahbereich der Achterstraße ist außerdem gering. Für viele Anwohner*innen wird es deshalb mehrSinn ergeben, direkt über den Hauptbahnhof zu fahren. Anwohner*innen am Lehesterdeich z.B.können mit der Linie 4 direkt zum Hauptbahnhof durchfahren und müssen nicht erst noch an derHaltestelle Horn (Horner Kirche) umsteigen (zumal die Frequenz der Buslinien 31 und 21, wie obenkurz erwähnt, für eine nahtlose Anbindung auch hier zu niedrig wäre). Da bei der S-Bahn Haltestel-le Achterstraße Parkplätze sogar wegfallen werden, wird es in diesem Bereich außerdem kaum Möglichkeiten geben, um sein*ihr Auto vor der Zugfahrt abzustellen.

Darüber hinaus wird der Schnellzug, der nur über wenige Stationen direkt nach Hamburg fährt, vor-aussichtlich nicht an der S-Bahn Haltestelle an der Universität anhalten. Das heißt, wenn man – umim Beispiel zu bleiben – vom Lehesterdeich (oder auch von den Stadtteilen Lilienthal oder Borg-feld) nach Hamburg will, man voraussichtlich schneller in Hamburg ist, wenn man mit der Linie 4 über den Hauptbahnhof den Schnellzug nimmt. In diesem Kontext erscheint das Argument einerAnbindung des Stadtteils Horn-Lehe, bzw. anliegender Wohngebiete eher vorgeschoben. Wir gehennicht davon aus, dass die S-Bahn Haltestelle tatsächlich in hohem Umfang vom Stadtteil genutztwürde.

Vor allem steht dem jedoch die Anbindung der pendelnden Student*innen (und den Mitarbeiter*in-nen des gesamten Campus-Geländes) der Universität (und der Unternehmen und wissenschaftlichenInstitute) gegenüber. Für diese wäre die S-Bahn Haltestelle Otto-Hahn Allee ein realer Vorteil, dasich ihre Anreisezeit massiv verkürzen würde. Es wäre ein fauler Kompromiss zwischen Horn-Lehe und Universität, die Achterstraße als Haltestelle zu bevorzugen: die Menschen in Horn-Lehe hätten wenig davon und die Pendler*innen aus umliegenden Gebieten würden gleichzei-tig durch den Umstieg in die Linie 6 mehr belastet. Besser wäre hier ein klares Bekenntnis zur Universität und ihren Student*innen und Mitarbeiter*innen!

Gerade in Zeiten von abnehmenden Student*innenzahlen (sei es durch die Zurückstellung auf G9 inNiedersachsen oder den allgemeinen Trend sinkender Studienanfänger*innen) ist eine unmittelbareAnbindung an die Universität ein nicht zu vernachlässigender Grund, ein Studium in Bremen aufzu-nehmen – vor allem, wenn man noch in Niedersachsen wohnt und in Bremen auf Anhieb keine be-zahlbare Wohnung findet. Der Wissenschafts- und Studienstandort Bremen könnte durch eine echte Anbindung an die Universität gestärkt werden.

3. Schließlich wird als Hauptargument gegen die Otto-Hahn Alle angeführt, dass durch den dortigenBau einer Haltestelle etwa 40 Kleingärten nördlich der Gleise aufgegeben werden müssten. Diesentspricht etwa 1/6 aller Kleingärten (244 Stück) in diesem Gebiet. In der Tat würde ein Wegfalleinen Verlust an Erholungsfläche und zwischenmenschlicher Verbindung bedeuten. So schreibt derKleingärtner[*innen]verein Kornblume (KGV Kornblume e.V.) auf ihrer Homepage Folgendes:

„Kleingärten haben eine wichtige Funktion in unserer Gesellschaft. Sie verbinden Menschen unab-hängig von Alters-, Herkunfts-, Bildungs- und Einkommensgrenzen. Junge Familien können ihrenKindern hier Verantwortung für die Natur vermitteln. Kleingärten bieten einen in unserer Gesell-schaft selten gewordenen Raum für ein verantwortungsvolles Miteinander. Und zwar auch für dievielen BürgerInnen, die die Gärten als Naherholungsgebiet nutzen.“ (Quelle: http://www.kgv-kornblume.de/index.php)

Sollte sich der Senat also noch für die Otto-Hahn Allee entscheiden, so wäre es mindestens geboten,den Kleingärtner*innen eine entsprechende Ausgleichsfläche anzubieten. Hier sollte gemeinschaft-lich und auf Augenhöhe eine Lösung mit den Kleingärtner*innen gesucht werden, die einerseitsdem vernünftigen Interesse einer Haltestelle an der Otto-Hahn Allee entspricht, andererseits aberauch dem Schutz von Natur- und Erholungsfläche dient.

Man sollte jedoch Naturschutz nicht zum Selbstzweck machen: wir leben in einer Zeit, in der eskaum noch „Natur“ gibt, die vom Menschen – also kulturell – unberührt ist. Naturschutz heißt nicht,„Natur Natur sein zu lassen“, denn die meiste Natur ist bereits durch den Menschen beeinflusst(z.B. die Forst-Wälder in Deutschland). In Zeiten des menschengemachten Klimawandels erfordert Naturschutz gerade aktives Eingreifen durch den Menschen, um Lebens- und Naturräume zu schüt-zen, zu erhalten und weiterzuentwickeln (z.B. weichen Küstenschutz, der mit der Natur arbeitet).

Wir erwarten deshalb von dem Bremischen Senat, dass er sich vor dieser Auseinandersetzung nichtwegduckt und aus Angst vor politisch schwierigen Auseinandersetzungen das vermeintlich kleinereÜbel auswählt. Bisher wurde diese Auseinandersetzung nicht geführt, aber wir können die Klima-krise nur verhindern, wenn wir auf einer sachlichen Grundlage diskutieren und über richtigen Naturschutz reden, der allen hilft. Auch Kleingärten sind keine unberührte Natur, sondern werden aktiv vom Menschen kultiviert. Der Senat kann und muss die Kleingärtner*innen in diesem Anliegen un-terstützen. Er muss aber auch abwägen, was im Wohl der Stadt Bremen ist.

Ein zügig realisierter S-Bahn Haltepunkt an der Uni hätte nach Untersuchungen des Büros für Ver-kehrsökologie (BVÖ) ein massives Fahrgastpotenzial, würde also stark genutzt werden. So könnte es dem BVÖ zufolge an der Haltestelle jährlich zwischen 790.000 und 1.212.000 S-Bahn-Nutzer*innen geben. Wir gehen aufgrund der oben genannten Argumente davon aus, dass dieses Po-tenzial mit der Haltestelle an der Otto-Hahn Allee deutlich besser ausgeschöpft werden könnte.

Ferner sind wir unschlüssig, ob die Frage nach dem Umgang mit dem Kleingärten nicht spätestensdann wieder auftaucht, wenn es um die Verlängerung der Linie 8 Richtung Universität geht oderauch dem möglichen Bau einer entsprechenden Fahrradroute entlang der Kleingärten. Sollte der Se-nat entsprechende Pläne haben, erscheint es daher unvermeidlich, sich ausgiebiger mit den Klein-gärtner*innen auseinanderzusetzen und gemeinschaftlich an einer Lösung zu arbeiten.

Diese Auseinandersetzung darf jedoch in keinem Fall auf Kosten der Universität, den dort ansässi-gen Unternehmen und wissenschaftlichen Instituten geführt werden! Als AStA der Uni Bremen for-dern wir vielmehr, dass der Senat ein klares Zeichen für die Universität, ihren Mitarbeiter*innenund vor allem ihren Student*innen setzt.

Diesem Anliegen folgt auch der Studierendenrat der Uni Bremen, der sich auf seiner Sitzung vom29. Januar 2020 einstimmig – und aus den oben angeführten Gründen – für die Otto-Hahn Allee ausgesprochen hat.

Wir verlangen, dass die Perspektive der Student*innen der Universität bei einem etwaigen Senats-beschluss mitberücksichtigt wird.

Gerne sind wir in diesem Zusammenhang bereit, mit Ihnen Gespräche aufzunehmen.

Über eine Rückmeldung zu unserer Stellungnahme wären wir Ihnen sehr dankbar.

Mit freundlichen Grüßen

Der AStA der Uni Bremen